Im September bekam ich die Anfrage von der BBS Nienburg, ob ich mit der Lehrerin Marina Leseberg im Rahmen des Projekts „Eurosmart“ im November nach Modena/Italien fahren möchte, um mir mit Teilnehmern aus verschiedenen europäischen Ländern italienische Kindertagesstätten anzuschauen.
Seit einigen Jahren schon gibt es für Auszubildende und Studenten in sozialen Berufen die Möglichkeit, sich für einige Wochen in einem europäischen Land, das an diesem Projekt teilnimmt, aufzuhalten und dort Einblicke in Einrichtungen und Schulen zu bekommen. Neben Finnland, Spanien, Griechenland, Dänemark und Holland bemüht sich nun auch Italien um die Aufnahme in das Projekt.
Da ich mich in den letzten Jahren durch das Projekt „Lernort Praxis“ intensiv mit der Erzieher- Ausbildung im Kirchenkreis Nienburg beschäftigt habe und wir als Ausbildungsträger sehr gut mit der BBS Nienburg vernetzt sind, wurde die Anfrage gestellt, ob ich mitkommen möchte. Ich habe ungefähr zwei Sekunden gebraucht, um mich dafür zu entscheiden, wann hat man schon mal diese tolle Gelegenheit! Dazu kam, dass die zu besichtigenden Kindertagesstätten und Schulen in der Region Reggio Emilia liegen und als Leiterin einer Reggio- orientierten Kita wollte ich natürlich unbedingt die Wurzeln unseres Konzeptes kennenlernen. Auch ein Besuch des Loris- Malaguzzi- Zentrums der Reggio- Children stand auf dem Besuchsprogramm.
Ich bin bereits am Sonntag nach Modena gereist, um mir die Stadt in Ruhe anzuschauen, die bei Feinschmeckern bekannt ist als Produktionsstätte von Balsamico, Lambrusco, Tortellini und natürlich Parmesankäse (passt auch alles prima in eine Mahlzeit…) und bei Autoliebhabern, weil dort Ferraris gebaut werden.
Am Montag trafen wir uns mit allen Teilnehmern der Projektwoche zu einer Einführung und wurden in einer Kunstschule begrüßt. Wie man es aus Italien so kennt: jede Menge alte Steine, Marmor und Skulpturen. Wir wurden auf die verschiedenen Einrichtungen aufgeteilt und trafen Absprachen für die Fahrt dorthin, zwei Tage sollten wir jeweils in den Einrichtungen hospitieren. Nach dem Treffen wurden wir zu einem typischen italienischen Abendessen ausgeführt, gewöhnungsbedürftig: erster Gang Nudeln, zweiter Gang Salat, Gemüse, Brot, Wurst oder Fleisch, zum Abschluss Kuchen.
Am Dienstag und Mittwoch ging es dann für mich und eine Kollegin aus Syke in die Stadt Reggio Emilia, Marina Leseberg besuchte eine Vorschule in Modena. Wir waren in einer Krippe, die bestand aus drei Gruppen, ohne Altersmischung. Am ersten Tag hospitierte ich in der Gruppe für Kinder von 3 Monaten bis 1 Jahr, am nächsten Tag in der Gruppe von 1-2 Jahren. In einer Gruppe sind 19 bis 22 Kinder und drei Erzieherinnen, die heißen dort Lehrerinnen. Es gibt dort nur Frauen, der einzige Mann dort ist der Koordinator, der drei Einrichtungen betreut. Auch eine Atelierista, eine Pädagogin, die Kunst studiert hat, arbeitet dort.
Die Räumlichkeiten sind tatsächlich so, wie ich mir das in einer Reggio-Kita vorgestellt habe, in jedem Raum Lichttische, wenig Spielzeug, dafür Alltagsgegenstände zum Spielen, zurückhaltende Farbgebung, Impulse durch anregende Präsentation, viele Dokumentationen, ein Atelier mit vielen unterschiedlichen Materialien usw. Was mich allerdings sehr verwundert hat, ist, dass die Kinder den größten Teil des Vormittags sitzend unter Anleitung zugebracht haben. Es ging los mit dem Morgenkreis, der dauerte eine Stunde. Bei ein- bis zweijährigen Kindern! Die Erzieherinnen wechselten sich ab bei der Animation der Kinder, je lauter und unruhiger die Kinder wurden, umso lauter sangen die Erzieherinnen. Nach einer Stunde Spielzeit, während der zwei Kinder mit der Atelierista ins Atelier mussten (!) kam der Mittagstisch, auch da saßen die Kinder vom Lätzchenverteilen, bis das mehrgängige Essen, bestehend aus Bohnensuppe, Brot, Pizza und Obst, eine Stunde. Dann durften sie eine halbe Stunde auf der Piazza unter Anleitung der Erzieherin tanzen und ein bisschen toben und sind dann todmüde in ihre Betten gekrochen. Mit klassischer Musik schliefen sie zwei Stunden, in der Zeit dokumentierten die Erzieherinnen den Tagesablauf.
Dies wird hochmodern erledigt, in jedem Raum gibt es einen Laptop für die Erzieherinnen und ein Touchpad für die Eltern, da können die sich die Erlebnisse ihres Kindes vom Tag anschauen und werden über Aktuelles informiert. Auch mit dem Smartphone hat man Zugriff auf diese Informationen.
Zusammenfassend kann ich vom Besuch dieser Einrichtung und nachdem ich die Berichte der anderen Teilnehmer gehört habe, sagen, dass es schon sehr interessant war, zu erleben, wie pädagogische Konzepte sich durch länderspezifische Mentalitäten verändern. Ich glaube zwar, dass europäische Auszubildende dort ein lehrreiches Praktikum machen könnten, zu den hundert Sprachen des Kindes, für die die Reggiopädagogik steht, können sie allerdings in anderen Ländern der EU mehr lernen, z. B. bei uns … :-)
Der letzte Tag des Aufenthaltes verging schnell mit dem Anfertigen von Praktikumsberichten und dem Austausch über die Erlebnisse in den einzelnen Einrichtungen. Nachmittags bekamen wir noch eine Führung durch Modena mit der Möglichkeit eines Museumsbesuches und abends war dann das große Abschiedsdinner in einer Taverne, bestehend aus Tortellini, Salat, vielerlei Fleischsorten und Kuchen.
Am Freitag kauften wir dann noch schnell die letzten Souvenirs in einer Markthalle, bevor wir mit dem Auto (kein Ferrari, fängt aber auch mit F. an…) zum Flughafen Bologna düsten.
Eine lehrreiche, interessante und bestimmt noch lange nachwirkende Woche lag hinter uns, ich würde mich freuen, wenn wir die Teilnehmer einer Projektwoche einmal bei uns begrüßen dürften und danke der BBS Nienburg und dem Kirchenkreis Nienburg dafür, mir diese Erfahrungen ermöglicht zu haben!